Leben von und mit dem Verkehr? – Dr. Hans Reichhart

Shownotes

Bevor Hans Reichhart 2020 Landrat des Landkreises Günzburg geworden ist, war er bayerischer Verkehrsminister. Mit Infrastrukturprojekten kennt er sich also aus. Ein Gespräch über vergangenen und künftigen Erfolg, unangenehme Themen und wann die Entscheidung fällt, ob es im Landkreis Günzburg einen Nahverkehrshalt geben könnte oder nicht.

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Hans Reichhart: Es gibt auch die überörtliche Betroffenheit. Die Interessen des einen gegen die Interessen des anderen ausgespielt werden. Verliere ich Geld, verliere ich eine Fläche an die neue Bahntrasse.

Theresa Wiesmeier: Zwischen Ulm und Augsburg liegen rund 70 Kilometer und drei Landkreise. Einer davon ist der Landkreis Günzburg. Heute sprechen wir mit dem Günzburger Landrat Herrn Dr. Hans Reichhart. Hallo Herr Reichhart!

Hans Reichhart: Hallo!

Theresa Wiesmeier: Hallo Herr Reichhart, Wir sprechen gerade in unserem Büro in Augsburg. Ihr Amtssitz, also das Landratsamt liegt in Günzburg. Wie sind Sie denn heute hergekommen?

Hans Reichhart: In dem Fall leider mit dem Auto, weil ich vorher noch ein paar andere Termine im Landkreis gehabt habe und es dann einfach war, mit dem Auto herzufahren.

Andrea Morgenstern: Als unser Bahnprojekt 2018 gestartet ist, waren Sie im bayerischen Verkehrsministerium tätig. Was haben Sie damals gedacht? Eine tolle Chance für die Region oder das könnten unangenehme Debatten werden?

Hans Reichhart: Nein, ich habe mich tatsächlich gefreut. Ich habe mich gefreut, weil ich es als Riesenchance sehe. Nicht nur für den Landkreis Günzburg, sondern für ganz Schwaben, dass wir in der Infrastruktur mithalten und Teil einer großen Magistrale sind und damit mehr Angebot schaffen können auf allen Ebenen. Was mir damals wichtig war, das kann ich auch sagen, ist, dass wir einerseits den Mehrwert für das Gesamtprojekt haben, aber auch, dass die Region tatsächlich einen Mehrwert daraus hat. Und ich glaube, das gelingt uns aktuell sehr, sehr gut und deswegen freue ich mich immer noch, dass es hoffentlich bald kommt.

Andrea Morgenstern: Zwischen 2018 und 2020 waren Sie Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr. Bei einem Bahnprojekt treffen jetzt alle diese drei Bereiche aufeinander, also Wohnen, Bauen und Verkehr. Die Menschen, die an einer potenziellen Bahntrasse wohnen, möchten aber vielleicht nicht, dass dort gebaut wird. Für die, die bauen, wiederum wäre es sicher einfacher, wenn dort niemand wohnen würde. Und beim Verkehr scheinen sich irgendwie alle einig: Es gibt nicht genug Infrastruktur dafür, dass so viele Menschen unterwegs sind. Wie geht man denn mit so einem Spannungsfeld um?

Hans Reichhart: Alle ernst zu nehmen, mit allen zu reden und tatsächlich auch alles aufzunehmen, was an uns, an die Bahn, an viele, die mit dem Projekt befasst sind, herangetragen wird und dann zu versuchen, einfach die bestmöglichen Lösungen zu finden. Mir ist auch klar die hundert Prozent ideale Lösung für jeden Einzelnen kann nicht gefunden werden. Die wird es so nicht geben. Aber ich glaube, das Wichtige ist, dass wir einfach uns voll reinhängen und sagen Ja, wir versuchen einfach das Bestmögliche herauszuholen und da sind wir mitten drinnen.

Theresa Wiesmeier: Sind nun seit 2020 Landrat vom Landkreis Günzburg, und Sie müssen seither die Interessen der Menschen Ihres Landkreises vertreten, statt die aller Bayerinnen und Bayern. Ändert sich mit einem politischen Mandat auch die politische Agenda?

Hans Reichhart: Nein, also es ist, ich mache es tatsächlich aus Überzeugung. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass auch in diesem Projekt es einfach wichtig ist. Es ist wichtig für die Region, ist wichtig, auch überregional. Und wenn wir anfangen würden, nur noch in Kirchturmdenken zu machen, dann würden wir vieles, auch viel Erfolg, den wir in der Vergangenheit hatten, so nicht gewährleisten können. Und deswegen: Nein.

Theresa Wiesmeier: Jetzt sind in dem Landkreis ungefähr 34 Gemeinden. Viele Gemeinden heißt auch viele verschiedene Meinungen und unterschiedliche Interessen. Wie gehen Sie als Landrat damit um?

Hans Reichhart: Wir führen einfach sehr, sehr viele Gespräche. Wir führen sehr, sehr viele Gespräche mit verschiedenen Beteiligten. Es gibt einfach Personen, Unternehmen, die ganz unmittelbar beteiligt sind. Es gibt aber auch Bürgerinitiativen. Es gibt auch die überörtliche Betroffenheit. Und das Wichtige ist einfach, sich tatsächlich alles anzuhören. Wir treffen uns alle ein, zwei Monate mit den Bürgerinitiativen und tauschen uns aus, bringen uns auf den aktuellen Stand. Und ich glaube, das ist es wichtig, dass wir einfach immer wieder im Dialog bleiben und sagen können Ja, wir, wir sprechen miteinander, wir reden darüber und wir schauen immer, dass wir auch punktuell einzelne Sorgen entweder zerstreuen können oder tatsächlich auch aufnehmen und versuchen, zusammen mit der Bahn, mit dem Planungsteam zu lösen.

Andrea Morgenstern: Wir haben es eingangs schon gesagt, Günzburg ist neben Augsburg und Neu-Ulm einer von drei Landkreisen in unserem Projektgebiet. Wie sieht denn die Zusammenarbeit unter den drei Landkreisen aus, was so unser Bahnprojekt angeht?

Hans Reichhart: Eine Zusammenarbeit nicht nur beim Bahnprojekt, sondern insgesamt einfach sehr, sehr gut. Wir verstehen uns gut und wir haben von Anfang an uns auf eines verständigt: Wir haben darauf verständigt, dass nicht die Interessen des einen gegen die Interessen des anderen ausgespielt werden, sondern dass wir sagen, wir ziehen an einem Strang. Und wenn eine Seite irgendwie große Schmerzpunkt hat, wo man sagt Mensch, das ist jetzt einfach bei bei uns ganz, ganz schwierig. Dass man nicht sagt, interessiert mich nicht, sondern dass wir tatsächlich alles zusammenlegen, auf einen Tisch legen und auch gemeinsam dafür eintreten. Und ich glaube, das funktioniert sehr, sehr gut. Und es funktioniert auch insoweit gut, dass wir auch tatsächlich immer für die anderen mitsprechen. Auch wenn mal ein Landkreis, eine Seite, eigentlich eine Region nicht da ist, dass man auch tatsächlich auch sagt Ja, aber es gibt ja noch andere Punkte, es gibt noch andere Aspekte und wir haben das tatsächlich auch ich glaube, das kann man sagen, ein blindes Vertrauen zueinander, dass wir nicht den einen übervorteilen oder was auch immer, sondern dass wir es miteinander machen.

Theresa Wiesmeier: Sie sprechen sicher auch mit Unternehmern in Ihrem Landkreis. Wie ist die Stimmung der Wirtschaft, wenn es um das Bahnprojekt Ulm-Augsburg geht?

Hans Reichhart: Zunächst mal positiv. Tatsächlich positiv. Es ist natürlich so, dass bei denjenigen, die auch persönlich betroffen sind, die sich mit dem Gedanken tragen müssen, verliere ich Grund, verliere ich Fläche an die neue Bahntrasse. Dass dort auch Fragen da sind, auch Bedenken da sind, zum Teil vielleicht auch existenzielle Sorgen. Aber das sind alles Punkte, die muss man, wie gesagt, im Dialog lösen und muss versuchen, es miteinander zu machen. Aber vom Grundsatz her ist die Stimmung dort insgesamt einfach tatsächlich gut und positiv und auch so gerichtet, dass man sagt Ja, dort wo Infrastruktur entsteht, entsteht in der Regel auch mehr. Und ich glaube, das ist das, was wir auch erreichen wollen.

Andrea Morgenstern: Herr Reichhart, Sie kommen aus Jettingen-Scheppach, einem Ort, der schon seit 170 Jahren von und mit der Eisenbahn lebt. Wie beeinflusst das Ihre Perspektive auf unser Bahnprojekt?

Hans Reichhart: Ich komme dazu aus einer Eisenbahner-Familie auch noch. Also mein Papa war noch viele, viele Jahre bei der bei der Bahn und ich bin mit der Bahn zusammen aufgewachsen. Also insgesamt klar, wir wir leben in jettingen und Scheppach schon immer mit der Bahn. Ich habe eine Zeit lang so gewohnt, dass ich 500 Meter auf der einen Seite die Autobahn, auf der anderen Seite die Bahn gehabt habe. Also es ist nicht so, dass ich sagen kann, ja, man hört es, man nimmt es auch wahr. Aber ganz ehrlich, man profitiert auch davon, wenn man einfach über den Nahverkehrshalt, über vieles auch dann von dieser Infrastruktur profitieren kann und auch vieles, was, gerade wenn man keinen Führerschein hat, man nicht so mobil ist, doch dann möglich wird, was anderen nicht möglich ist und insoweit die Bahn gehört bei uns einfach dazu.

Theresa Wiesmeier: Stichwort Magistrale: Auf Ihrer Website schreiben Sie, wie wichtig der Blick über den Tellerrand ist und in einer modernen Gesellschaft Vernetzung und Mobilität eine entscheidende Rolle spielen. Welche Rolle spielt die europäische Magistrale zwischen Paris und Budapest, auf der das Projekt Ulm-Augsburg liegt für eine Region wie den Landkreis Günzburg?

Hans Reichhart: Wir sind eine Region, die vom und mit dem Verkehr lebt. Wir sind die Region, die davon lebt, dass einfach ganz, ganz viele Menschen zu uns kommen. Sei es, weil sie Urlaub machen wollen, sei es, wir sie aber auch bei uns neue Heimat finden, weil sie mal zum Arbeiten, zum Studium wegkommen, dann wieder zurückkommen. Wir haben eine Vielzahl an Arbeitsplätzen, die einfach dadurch bedingt sind, dass wir verkehrstechnisch sehr, sehr gut liegen. Und das betrifft einerseits die Autobahn, betrifft aber andererseits auch ganz klar die Eisenbahn. Und insoweit wir leben auch tatsächlich von der Bahn. Und wir leben auch von der Magistrale, denn sie eröffnen uns einfach neue Möglichkeiten. Wir haben das nur nicht das Glück, sondern wir haben hart dafür gearbeitet, dass wir den jetzigen Standort des Bahnhofs Günzburg erhalten, dass er auch im Fernverkehr nochmals gestärkt wird. Und ich glaube, das ist etwas, wovon einfach am Schluss alle profitieren, auch die ganze Region profitiert, und zwar im Freizeitverhalten genauso wie im beruflichen. Deswegen, wie gesagt, ist auch die Magistrale für uns und tatsächlich für für sehr, sehr viele Menschen einfach eine bedeutende Infrastruktur, ohne die wir uns manches vielleicht auch sonst nicht leisten könnten.

Andrea Morgenstern: Bei Eisenbahnstrecken sind alle 20 Kilometer sogenannte Überholbahnhöfe nötig. Zwischen Ulm und Augsburg wäre das je nach Trassenverlauf auf der Gemarkung Zusmarshausen und im Landkreis Günzburg. Aus diesen Überholbahnhöfen könnte man Personenbahnhöfe machen, an denen dann natürlich auch Fahrgäste ein- und aussteigen können. Die Zusmarshauser haben signalisiert, dass sie sich einen solchen Halt vorstellen können. Aus den Kommunen im Landkreis Günzburg kam hingegen kein solches Signal. Warum?

Hans Reichhart: Weil wir anders als im Landkreis Augsburg die Situation haben, dass bei uns vier mögliche Trassenvarianten durch den Landkreis gehen. Wir stecken mitten im Raumordnungsverfahren, wir haben mit allen Kommunen auch schon gesprochen und es finden dort tatsächlich sehr, sehr intensive Gespräche statt auch was man machen kann, wie es sich auf die verkehrliche Situation auswirkt, in vielen anderen Bereichen auch. Und wir haben uns auch zusammen mit dem bayerischen Verkehrsministerium darauf verständigt, dass wir erst dann eine Willensäußerung auch öffentlich publik machen, wenn die Trasse gefunden ist, wenn das Raumordnugnsverfahren abgeschlossen ist und dann sagen Ja, ob man auch bei uns über den Überholbahnhof nachdenken sollte. Ich persönlich bin da ganz klar auch dafür. Aber wie gesagt, das ist am Schluss eine Frage, welche Trasse wird ausgewählt und dann auch wie kann ich so einen Überholbahnhof in die bisherige Infrastruktur integrieren, Was kann ich dort dementsprechend machen?

Theresa Wiesmeier: Schreiben Sie auf Ihrer Homepage, auch Ihnen sei wichtig, Probleme ernst zu nehmen und nicht darüber hinwegzugehen, auch wenn es unangenehme Themen sind. Wie unangenehm ist ein Bahnprojekt?

Hans Reichhart: Bahnprojekt ist tatsächlich ein in einigen Bereichen immer mit starken Belastungen verbunden und deswegen muss dort auch jede einzelne Sorge auch ernst genommen werden, auch wenn sie vielleicht aus rational oder aus naturwissenschaftlicher Sicht oder was auch, es gibt doch Fakten, die in die andere oder andere Richtung sprechen. Aber ich glaube, das Tatsächliche ist, dass jeder ja auch mit dem Projekt dann leben muss. Und jeder muss damit leben, dass dort, wo früher kein Gleis war, künftig ein Gleis sein wird, wofür vielleicht keine Brücke war, eine Brücke sein wird, wo früher man den Zug auch nicht gehört hat, jetzt vielleicht doch dieser Zug zu hören ist. Und deswegen, wie gesagt, ist es auch mir tatsächlich wichtig, dass wir auch jedes einzelne Anliegen aufnehmen, nicht abtun und sagen Ja, ist halt so und vom Tisch wischen. Und wie gesagt, wir, wir treffen uns sehr, sehr regelmäßig, wir tauschen uns aus, wir, wir führen Gespräche mit dem Planungsteam, mit den Bürgerinitiativen, mit Einzelnen, die Einzelanliegen haben. Und insoweit ist es einfach so, dass ich ein großes Verständnis für tatsächlich alle Bedenken, alle Sorgen habe. Aber ich glaube auch, dass man einfach auch sachlich drüber sprechen kann und natürlich ist ein Projekt immer auch von manchen dazu geeignet, dass man sagt, man hetzt Leute auf, man macht Stimmung und dergleichen. Aber wir sind aktuell auf einem relativ guten Weg und müssen einfach schauen, dass wir jetzt einfach auch sachlich dementsprechend weiterdiskutieren können, es weiter abstimmen können.

Theresa Wiesmeier: Ich habe noch drei Begriffe für Sie. Sie dürfen mir erzählen, was Ihnen dazu einfällt. Erste Begriff: Fernverkehrshalt Günzburg.

Hans Reichhart: Ist wichtig und wird kommen.

Theresa Wiesmeier: Gut. Zweiter Begriff: Nahverkehr.

Hans Reichhart: Muss weiter ausgebaut werden und würde durch eine Verdoppelung der Nahverkehrskapazitäten auf der Strecke zwischen Ulm und Augsburg einen extremen Mehrwert für die gesamte Region schaffen.

Theresa Wiesmeier: Dritter Begriff: Öffentlichkeitsbeteiligung.

Hans Reichhart: Ist gleichfalls wichtig und wird, glaube ich, in diesem Projekt sehr, sehr gut gemacht, weil man alle, die auch sich beteiligen möchten, alle, die sagen ich habe auch Anliegen hört, sie mitnimmt und in sehr, sehr vielen Sitzungen von Projektkoordinierungsräten und sonstigen Gremien auch zu Wort kommen lässt und nicht abschneidet.

Theresa Wiesmeier: Vielen Dank Ihnen auch.

Hans Reichhart: Ich sage Danke.

Theresa Wiesmeier: Für die Antworten.

Hans Reichhart: Okay, super!

Andrea Morgenstern: Vielen Dank für die Infos aus Landkreissicht. Sehr spannend. Bis zum nächsten Mal Theresa.

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