So schlecht, wie immer alle sagen? – Schieneninfrastruktur in Deutschland
Shownotes
Zum Thema Deutschland-Takt gibt es ebenfalls eine Folge: "Bahnfahren wie in der Schweiz? - Der Deutschlandtakt", in der wir mit Dr. Christian Loos (Bayernchef des VCD) darüber gesprochen haben, wie ein Taktfahrplan funktioniert und was nötig ist, damit man auch in Deutschland pünktlich und zuverlässig wie in der Schweiz mit der Bahn unterwegs sein kann.
Über Streckenreaktivierungen und das Thema Nahverkehr haben wir mit der Chefin der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), Bärbel Fuchs, gesprochen. In der Folge "Ein Halt an jeder Milchkanne? - Bayerische Eisenbahngesellschaft" geht es auch darum, wann Züge die Farbe wechseln, wie und wann neue Regionalhalte entstehen und wann warum man an volle Züge nicht einfach weitere Waggons anhängen kann.
Was Eisenbahninfrastruktur mit einem Jenga-Turm zu tun hat, hat uns Gerd Matschke, Leiter Infrastrukturprojekte Süd bei der Deutschen Bahn, erklärt. Mit ihm haben wir auch über Beschleunigungsgesetze gesprochen, die nichts beschleunigt haben und ab wann es für die Fahrgäste wieder besser wird.
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Philipp Nagl: So, jetzt haben sie eine Strecke und dann fährt da nichts... Ich sage immer, wer es richtig kompliziert und schwierig haben will, der muss nach Deutschland gehen... Sie müssen 10 bis 15000 Autos produzieren und wegwerfen.
Andrea Morgenstern: Die Strecke zwischen Ulm und Augsburg ist rund 85 Kilometer lang. Das sind 0,25 % des gesamten Streckennetz der Deutschen Bahn. Es gibt jemanden, der für diese 33.400 Kilometer verantwortlich ist. Das ist Dr. Philipp Nagl, der Vorstandsvorsitzende der DB InfraGO AG, ehemals DB Netz AG und damit unser oberster Chef. Wir sind heute bei ihm in Frankfurt zu Besuch. Hallo, Herr Dr. Nagl.
Andrea Morgenstern: Als Vorstandsvorsitzender sind Sie bestimmt nicht begeistert, wenn Sie mit dem Zug unpünktlich unterwegs sind. Was machen Sie in diesem Fall?
Philipp Nagl: Also, dazu muss man sagen, ich bin extrem viel mit dem Zug unterwegs. 60-70.000 Kilometer im Jahr. Und ich kenne natürlich alle Höhen und Tiefen, die man beim Bahnfahren so erleben kann. Bin auch begeisterter Bahnfahrer. Und die Unpünktlichkeit ist natürlich für alle, insbesondere für Reisende, eine sehr unangenehme Sache. Ist aber auch für die Bahn selbst eine sehr schlechte Sache, weil das, was wir alle als Fahrplan kennen, ist unser Produkt für den Kunden. Aber es ist auch unser Produktionsplan. Und Unpünktlichkeit bedeutet für alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner auch ein Problem in ihrer Produktion, sozusagen in der Leistung, die wir erbringen. Und wenn eine Verspätung da ist, ist sehr, sehr viel Arbeit von ganz vielen Kolleginnen und Kollegen notwendig, um das wieder in Ordnung zu bringen. Es beginnt quasi von der richtigen Information: muss man die Anschlüsse einhalten, geht aber dann weiter zu: Da ist vielleicht irgendwie eine Lokführerin oder Lokführer drauf, der irgendwo einen anderen Zug übernehmen muss, wo man gucken muss: Okay, wie vermeide ich das jetzt, dass der auch noch unpünktlich fährt. Das geht weiter bis ist der Zug dann eigentlich nicht in der Werkstatt, wo Leute darauf warten, dass er repariert wird. Das geht hin zu: Was machen wir eigentlich - der kommt jetzt nach von mir aus in Stuttgart in den Bahnhof, da hat er gar keinen Platz mehr, da steht schon ein anderer Zug. Das geht weiter: Wir haben eigentlich eine Baumaßnahme, die wollten wir machen. Jetzt kommt der Zug aber später. Können wir die Baumaßnahme schon beginnen oder nicht? Das hat dann Auswirkungen auf, sagen wir mal auch die Qualität, oft an einem anderen Tag, weil ein Zug, der vielleicht abends hätte in Hamburg ankommen sollen, dort nicht angekommen ist und am nächsten Tag nicht zur Verfügung steht, um wieder von Hamburg nach Stuttgart zu fahren. Also das hat für uns immer große Auswirkungen und deswegen ist Unpünktlichkeit nicht nur unmittelbar für denjenigen oder diejenige, die im Zug sitzt, schlecht, sondern eben auch für das ganze Bahnsystem und zieht dann wie eine große Welle, oft auch durch ganz Deutschland.
Theresa Wiesmeier: Apropos hohe Welle: Die Haushaltsdebatte hat Anfang des Jahres auch eine hohe Welle geschlagen. Der Bund stellt weniger Geld für den Neu- und Ausbau der Schiene zur Verfügung als ursprünglich geplant. Gibt es demnächst noch Neubaustrecken?
Philipp Nagl: Dazu muss man sagen, dass Deutschland in den letzten Jahren pro Kopf - das ist ja auch viel dargestellt - für Neu- und Ausbau relativ wenig Geld ausgegeben hat und die Entwicklung wollen natürlich alle gerne umkehren. Dazu braucht es allerdings deutlich mehr Mittel als wir pro Jahr ausgeben, grob ungefähr knapp 2 Milliarden pro Jahr. Die Vergangenheit, damit man auf ein Niveau kommt, um ausreichend viele Neu- und Ausbaustrecken zu bauen oder um auch ein ähnliches Pro-Kopf-Niveau von Österreich - von der Schweiz rede ich gar nicht - zum Beispiel zu erreichen, müsste man die Mittel deutlich erhöhen, weil man sonst, und das ist halt im Eisenbahnsektor passiert, im Vergleich einfach zurückfällt. Und wir würden halt, wenn wir nicht mehr als diese 2 Milliarden pro Jahr ausgeben, weiter zurückfallen und zu wenig Neu- und Ausbau machen. Daher: mehr Mittel für Neu- und Ausbau sind erforderlich, wenn man einigermaßen auf so einen, wie sagt man, europäischen Standard, kommen möchte.
Theresa Wiesmeier: Das heißt jetzt auch aus eigenem Interesse: Um das Bahnprojekt Ulm-Augsburg müssen wir uns zumindest derzeit keine Sorgen machen.
Philipp Nagl: Das Projekt Ulm-Augsburg ist erst mal in Planung und alle Projekte, die in Planung sind, können sowieso fortgeführt werden. Spannend wird es dann, wenn es in den Bau kommt. Und wir sind, das muss man sagen, gerade auf so einer Strecke wie Ulm-Augsburg, obwohl die quasi im Herzen von Europa liegt. Also wenn man ein bisschen größer denkt, denken will, fahren da ja Züge von Paris nach Wien und noch weiter nach Osteuropa drüber. Also eine sehr wichtige Magistrale. Und alle anderen sozusagen, die Franzosen sowieso, aber auch die Österreicher, haben diesen Teil der Magistrale schon viergleisig ausgebaut. Deutschland auch zum Teil: Also zum Beispiel zwischen München und Augsburg oder zwischen Ulm und Stuttgart wird er jetzt bald fertig bis Mannheim. Also ist auch schon was passiert und daher kommt diesem Stück natürlich auch eine nicht nur jetzt lokale, sondern eine deutlich überregionale Bedeutung bei. Und Tagzüge von Paris nach Wien sind bald realistisch und mit diesem Stück auch sehr wichtig und damit auch natürlich eine deutlich bessere Verbindung auf der Schiene etwa von Ulm und Augsburg, weil die natürlich auch immer Halte werden von solchen Zügen.
Theresa Wiesmeier: Sind wir schonmal erleichtert. Zuletzt wurde auch viel über die Generalsanierung und Hochleistungskorridore gesprochen. Können Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?
Philipp Nagl: Na ja, das hat eigentlich einen relativ direkten Zusammenhang mit den zu wenigen Neu- und Ausbaustrecken. Deutschland hat eben über viele Jahre zu wenig in Neu- und Ausbaustrecken investiert und das hat jetzt dazu geführt, dass man an den hoch belasteten, also mit vielen Zügen genutzten Schieneninfrastrukturen, das Problem hat, dass die auf der einen Seite stark überlastet sind, aber dass da auch wenig gebaut werden konnte, weil da zu viele Züge fahren wollen. Und jetzt hat man aber keine Neubaustrecke, weil im Optimalfall baut man eine Neubaustrecke und saniert dann die Strecke. Das ist so das, wie man das eigentlich machen würde. Wenn man aber keine Neubaustrecke gebaut hat, dann bleibt einem ja nur die alte Strecke und daher ist die kurzfristige einzige Lösung, die man hat, diese sehr hoch belasteten Altbaustrecken - wie es etwa auch zwischen Ulm und Augsburg ist - so umfangreich zu sanieren, dass sie - zumindest noch bis die Neubaustrecke da ist - durchhalten mit einer einigermaßen guten Qualität und Pünktlichkeit. Das ändert aber nichts daran, dass die Strecke zwischen Ulm und Augsbrg etwa trotzdem überlastet sein wird. Sie ist dann halt bestmöglich in Schuss, aber überlastet.
Theresa Wiesmeier: Dieses Jahr gucken ja sehr viele auf die Riedbahn. Was ist Ihr Plan für den 15. Dezember?
Philipp Nagl: Ja, das werde ich gerne gefragt. Ich fahre da natürlich mit dem Zug drüber, das ist ganz klar. Und sie zeigt dann eben, wie das dann aussieht, wir machen einfach das Beste draus. Das ist so ein bisschen wie wenn man selber ein kleines Häuschen hat. Man kann sich aber keine große Villa leisten und dann denkt man sich gut, dann nehme ich mein Erspartes und mache mir dafür mein Häuschen so schön wie möglich und richtet so alles her. Auch das Ganze, was hinter der Wand ist, Installation, das alles, was man halt wirklich machen kann, damit man dann, wie man Österreich sagen würde, einige Jahre Ruhe hat und eben auf dem bestmöglichen Stand. Und das kann auch sehr schön sein. Ist halt dann trotzdem kein großes Haus. Aber genau das machen wir dann. Wir renovieren die Strecke mit allem, was die Technik und die Bautechnologie und das, was man eben machen kann. Und besser geht es dann nicht. Und auch dort ist es ja so, dass wir dort genauso auf eine Neubaustrecke warten, die auch dringend erforderlich ist.
Andrea Morgenstern: Vielleicht noch ein kleiner Hinweis für unsere Hörerinnen und Hörer: Die Riedbahn ist die Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim.
Philipp Nagl: Präzise: Eine der drei Strecken. Es gibt eigentlich quasi drei große Strecken.
Andrea Morgenstern: Okay. Sie wissen es besser, danke!
Philipp Nagl: Wenn man jetzt ein bisschen den größeren Einzugsbereich von Frankfurt und Mannheim sieht und das ist die Wichtigste, da fahren die meisten Züge und es gibt da noch zwei andere, die Main-Neckar-Bahn und die Ludwigsbahn. Und die tragen sozusagen während der Sanierung die Last des Verkehrs und die wichtigste Strecke in der Mitte, die wird dann eben generalsaniert. Und dort braucht man sozusagen eigentlich von der Nachfrage her eine vierte Strecke, die Neubaustrecke, die dort auch geplant ist. Das sieht man auch im Verhältnis, wird ja oft diskutiert: Wir haben ja schon zwei Gleise. Braucht man vier? Und das ist auf jeden Fall erforderlich. Gerade auf so einer wirklich wichtigen Magistrale ist man am Ende immer dort, dass man vier Gleise braucht, also um wirklich alles gut bedienen zu können: Nahverkehr, Güterverkehr und Fernverkehr.
Andrea Morgenstern: Künftig sollen Fahrgäste nicht mehr so lange auf ihren Anschluss warten müssen. Grund dafür ist der Deutschlandtakt. Ein integraler Taktfahrplan, wie es ihn in der Schweiz zum Beispiel schon lange gibt. Damit dieser Deutschlandtakt funktioniert, muss noch einiges gebaut werden. Welche Rolle spielt das Bahnprojekt Ulm-Augsburg denn dabei?
Philipp Nagl: Ja, gerade bei Ulm-Augsburg ist es eigentlich sehr schön, denn die Deutschlandtaktlogik macht ja sogenannte Knotenbahnhöfe immer zu einer mit einem Abstand von ungefähr etwas unter einer halben Stunde Fahrzeit im Fernverkehr oder auch im Nahverkehr. Das bedeutet, wenn Sie sich das jetzt mal auf der Achse da angucken, die Idee ist eben, dass Sie von München nach Augsburg, da fährt man heute schon ungefähr eine halbe Stunde und dann von Augsburg nach Ulm fahren Sie eine halbe Stunde. Sobald Stuttgart 21 fertig ist, fahren sie von Ulm nach Stuttgart eine halbe Stunde. Dann ist auch im Plan, noch eine leichte Beschleunigung zu machen, sodass man auch von Stuttgart nach Mannheim in einer halben Stunde fährt. Und mit der Neubaustrecke fahren Sie dann auch nach Frankfurt eine halbe Stunde. Und das ist genauso, wie es in der Schweiz ist, für den integralen Taktfahrplan optimal, weil dann fahren die Fernzüge in alle halbe Stunden immer eine halbe Stunde und Sie bekommen einen komplett symmetrischen Grundraster auf der - darf man nie vergessen - das ist ja die im Personenverkehr die wichtigste und nachfragestärkste Achse Deutschlands, man nennt das das westdeutsche C: also von München über Ulm, Mannheim, Frankfurt, dann Köln, Düsseldorf, Dortmund bis hoch nach Hamburg. Das ist das C und wenn Sie auf dieser Strecke sozusagen so ein Taktgefüge einbauen, alle halbe Stunde ein Zug, der alle halbe Stunde hält, dann haben Sie sozusagen auch in der schweizerischen reinen Taktphilosophie den optimalen Fahrplan, um dann auch natürlich eine wahnsinnig optimale Verdichtung. Aber was ist der Vorteil? Sie wissen, ich kann immer alle halbe Stunde fahren und auch die Anschlüsse in den Bahnhöfen. Also wenn ich jetzt nicht direkt nach Köln will, sondern irgendwo in Vorort von Köln, Düren zum Beispiel, dann wissen Sie, ich kann immer von Augsburg nach Düren fahren, alle halbe Stunde, und ich brauche sozusagen im Optimalfall gar nicht mehr in den Fahrplan gucken. Sie wissen jetzt ganz egal, wo ich da hinwill, kann ich alle halbe Stunde fahren. Und das ist sozusagen das Attraktive und deswegen sind eben diese Kantenfahrzeiten von etwas unter einer halben Stunde sehr wichtig, weil wenn Sie das nämlich nicht schaffen und 38 Minuten fahren, dann funktioniert das System nicht, dann geraten Sie aus den Fugen und dann müssen Sie entweder eine Stunde fahren, aber dann fährt alles eine halbe Stunde länger oder Sie versuchen es unter diese halbe Stunde zu bringen. Und das ist eigentlich jetzt für diese Achse und deswegen ist es so wichtig, das liegt total nahe: Weil, wenn man die Investitionen zusammenzählt, von allen Infrastrukturinvestitionen, die da schon gemacht wurden, jetzt rechne ich mal nur bis Köln. Also man hat München - Augsburg viergleisig ausgebaut. Man hat Ulm, die Neubaustrecke nach Wendlingen gebaut, Stuttgart 21, die Neubaustrecke Stuttgart - Mannheim. Nehmen wir mal die Generalsanierung der Riedbahn plus dann da auch eine Neubaustrecke. Dann hat man einen neuen Flughafenbahnhof in Frankfurt schon gebaut. Die Neubaustrecke von Frankfurt nach Köln gibt es schon. Das heißt, Sie haben eigentlich schon, ich sage mal 2/3 bis 3/4 haben wir schon geschafft von dem Ziel. Und dafür haben unsere Vorfahrinnen und Vorfahren viele Milliarden schon ausgegeben. Und jetzt wäre es natürlich ein bisschen schade, wenn wir die letzten Stücke, die noch fehlen, nicht auch angehen würden. Weil das, was am Ende dann erreichbar ist, ist, habe ich eingangs beschrieben, natürlich schon sehr, sehr attraktiv.
Andrea Morgenstern: Wenn jemand noch mehr zum Thema Deutschlandtakt hören möchte, dann empfehle ich auch unsere Folge mit dem Dr. Christian Loos vom Verkehrsclub Deutschland. Herr Dr. Nagl, Stichwort digitale Schiene: Eisenbahn ist Stahl auf Stahl. Was kann man da digitalisieren?
Philipp Nagl: Das ist völlig richtig. Die Eisenbahn ist Stahl auf Stahl und es fahren Menschen und Güter damit. Das ist sozusagen das Wichtige und das Schöne am Stahl auf Stahl und an der Eisenbahn ist grundsätzlich, dass es wahnsinnig nachhaltig ist, aus zwei Gründen, und zwar ganz die physikalisch, nicht esoterisch. Zwei Gründe sind das: Erstens ist sie ein Kollektivverkehrsmittel mit sehr geringem physikalischen Widerstand durch das Stahl auf Stahl, anders als Gummi auf Asphalt. Das heißt dadurch, dass wir viele Leute in einem Fahrzeug sitzen und wir sehr geringen Rollwiderstand haben, ist die Energie, die wir aufwenden müssen, für den Transport auf der Schiene viel geringer als auf der Straße, weil sie dort nicht so viele Menschen ein Fahrzeug bekommen und weil sie die viel höhere Energie brauchen. So, das heißt: Egal was Sie damit machen, auch wenn das Auto elektrisch fährt, es hat keinen Einfluss auf diese Faktoren, nämlich dass Sie grundsätzlich eine viel, viel energieschonendere Transportmöglichkeit haben. Deswegen ist es auch so gut, die Eisenbahn langfristig zu betrachten, weil wenn unsere Nachfahr:innen irgendwann eben Energie sparen müssen, dann ist es gut, wenn sie die Eisenbahn haben, weil sie können sie dann einfach nicht bauen, sondern sie wissen, okay, ich kann damit sehr energieeffizient durch ganz Deutschland fahren und auch ins Ausland. Das ist das Erste. Das Zweite, was bei der Eisenbahn inhärent ist, ist, dass sie sehr nachhaltig ist im Thema Ressourcen für die Schienen und die Fahrzeuge. Also so ein ICE kann man sich umrechnen ungefähr, der bringt so viel Transportleistung in seinem Leben wie 10 - 15000 Autos. Sie müssen 10 - 15000 Autos produzieren und wegwerfen, damit sie das an Transportleistung machen können, was ein einziger ICE schafft. Der wird immer wieder repariert, gepflegt und und und. Der kann locker 30 bis 40 Jahre durchhalten. Ein Auto hält vielleicht zehn Jahre. Der kann 20 Millionen Kilometer fahren, ein Auto kann vielleicht 200-250.000 Kilometer fahren. Also das sind sozusagen diese zwei Gründe. Das ist sehr, sehr sehr interessant bei der Eisenbahn und was sie eben auch ist und das ist jetzt neu, weil die Digitalisierung angesprochen haben: Sie lässt sich sehr einfach digitalisieren. Heute war in den Nachrichten: "Apple" steigt aus dem Thema Autoproduktion aus, weil die wollten ja ein selbstfahrendes Auto bauen. Dann sind sie draufgekommen: offensichtlich selbst Apple, die wertvollste Firma der Welt und somit die IT-Kompetenz, schafft es auf der Straße nicht. Können Sie sich angucken, wie viele Tesla-Tote es schon gab wegen Autopiloten. Weil das ist ja eine sehr schwierige Aufgabe, den motorisierten Individualverkehr digital zu gestalten. Der Eisenbahn kommt es besonders entgegen, weil wir den großen Vorteil haben bei der Eisenbahn, dass wir spurgeführt sind und auch heute schon selbst unsere alten Stellwerke, zum Beispiel auch die alten Fahrzeuge, immer schon mit technischer Sicherung fahren. Also auch jetzt, wenn Sie im Zug sitzen, wird der Zug technisch überwacht und es wird geguckt, fährt er schnell genug oder fährt er nicht zu schnell? Es wird sichergestellt, dass er auf das richtige Gleis fährt, dass er im rechten Moment anhält. Das überwacht alles schon jetzt Technik und die sich lässt sich eigentlich sehr gut digitalisieren. Da kann man dann eben noch mehr Kapazität und Pünktlichkeit gewinnen, wenn man das noch weiter fortführt. Das ist eigentlich eine Fortführung einer Technologie, die es heute schon bei der Eisenbahn gibt und die man natürlich jetzt noch weiter verbessern kann. So, das ist jetzt der spannende Vorteil von der Eisenbahn: Das es nicht die Investition braucht jetzt, die Apple ausgeben muss und daran scheitert, sondern dass man das einfach fortführen kann. Und das machen wir auch und die weitere Digitalisierung dazu nutzen können, um mehr zu beziehen. Das ist übrigens auch deshalb ein wesentlicher Grund, warum Eisenbahnfahren so sicher ist, weil es eben jetzt schon stark technisch überwacht ist und das Autofahren ja nicht. Also das hängt immer am Fahrer, ob was passiert oder nicht. Und das ist bei der Eisenbahn eben nicht so und deswegen ist Eisenbahnfahren auch aktuell schon so sicher, dass es eigentlich kaum schwere Unfälle mit Fahrgästen überhaupt gibt. Im Vergleich zu den vielen Unfällen, die man im Straßenverkehr hat.
Theresa Wiesmeier: Herr Dr. Nagl, ich würde noch mal auf die Infrastruktur zu sprechen kommen. Sie hatten vorher schon mal die Auswirkung von den schlechten Pünktlichkeitswerten angesprochen. Immer wieder heißt es, die marode Infrastruktur sei dafür verantwortlich. Frage an den Chef ebendieser Infrastruktur: Trifft das den Kern der Sache?
Philipp Nagl: Na ja, die Infrastruktur ist natürlich ganz wichtig und muss auch sehr gut funktionieren, weil wir haben es ja schon gesehen vorher. Es fahren halt in Deutschland wahnsinnig viele Züge. Weil die Nachfrage da ist, die Menschen wollen gerne Bahn fahren und ein Fehler in der Infrastruktur bedeutet halt immer, dass sehr viele Züge davon betroffen sind, weil ja dann viele Züge fahren wollen. Und wenn jetzt eine Störung einer Weiche vorliegt, ist ja unser System auch sehr auf Sicherheit geprägt. Das heißt, da darf erst mal kein Zug drüber fahren, es muss jemand hinfahren, muss gucken, was das ist, reparieren und so weiter. Und das ist immer eine große Einschränkung. Daher ist jeder Euro, den wir in die Infrastruktur investieren, was Qualität und Pünktlichkeit betrifft, sehr wertvoll, weil er eben dann viele Züge davor bewahrt, eine Verspätung zu erleiden. Der zweite Aspekt ist eben, gerade bei den Neu- und Ausbauprojekten wichtig: Je mehr Kapazität wir haben, je mehr Möglichkeiten wir haben, dass ein Zug fahren kann, desto weniger sind die Einflüsse, wenn irgendwas ist. Also nehmen wir mal ein Beispiel, ganz typisch, hatten wir jetzt eben gerade auf der Strecke auch die Tage: da war eine abgängige Person und da war unklar, ob die Person vielleicht Suizidgedanken hat. Und man hat die Bahnstrecke in der Nähe des Wohnortes gesperrt, bis man die Person gefunden hat. Hat aber leider vier Stunden gedauert. Das heißt, so eine Hauptstrecke ist für vier Stunden gesperrt. Das Ganze passiert öfter, ist aus Sicherheitsgründen auch nachvollziehbar. So, jetzt haben sie eine Strecke und dann fährt auch nichts. Dann müssen Sie entweder warten oder umleiten. Das ist natürlich für Reisende eine Katastrophe. Wenn Sie aber zwei Strecken haben, ist die Wahrscheinlichkeit viel, viel höher - und das sehen wir jetzt zum Beispiel schon zwischen Ulm und Wendlingen, wo die Neubaustrecke da ist - dass wir da einfach viel mehr Stabilität im Bahnsystem drin haben. Weil wenn bei einer Strecke mal eine Störung auftritt, haben wir die anderen Strecken. Dann können die Züge einfach die andere Strecke nehmen. Und das führt natürlich zu einer extremen Stabilisierung, weil sie eben nicht darauf angewiesen sind, dass eine einzelne Strecke immer 24/7 verfügbar ist, weil das ist das, was die Kunden erwarten. Wenn ich da fahr, muss es gehen. Ist aber nicht die Realität, weil es eben viele Einflussfaktoren gibt, auch außerhalb dessen, dass was kaputt sein kann, die dazu führen, dass eine Strecke nicht befahren werden kann.
Theresa Wiesmeier: Apropos Kunden: Ich erlebe Bahn-Bashing auch immer wieder im Bekanntenkreis. Ein Tipp vom Chef: Was kann ich erwidern, wenn auf der Bahn mal wieder so rumgehackt wird?
Philipp Nagl: Sie nuscheln einfach und sagen nicht Deutsche Bahn, sondern Deutsche Bank. Da werden sie genauso schlecht behandelt. Nein, Scherz beiseite, das ist leider, denn ich bin ja aus Österreich, da ist das nicht so und das ist in Deutschland richtig. Wir müssen uns natürlich die Frage stellen, ob das der richtige Weg ist, dass etwas, wo man auf der einen Seite sagt, das ist sehr wichtig und wir wollen eine bessere Bahn und wir wollen gerne, dass wir alle eine tolle Eisenbahn haben und dass man es gleichzeitig so schlecht macht. Weil das trifft dann den Angesprochenen immer im Herzen. Na ja, wenn wir, wenn wir das, was wir gerne haben, so schlecht machen, wer soll denn dann dafür arbeiten? Da sagt man ja, da wollen wir die Besten und da wollen wir auch eine Finanzierung und alles. Und wenn man im gleichen Atem sagt es ist alles so schrecklich, dann weiß ich nicht, passt irgendwie nicht zusammen. Ich gehe auch nicht, wenn ich krank bin, zum Arzt und sage: Können Sie mir bitte helfen? Das Gesundheitssystem in Deutschland ist so schrecklich. Gerade die Ärzte, die verdienen viel Geld und machen nichts. Würde man ja auch nicht machen, sondern man würde ja versuchen, das, wo man drauf angewiesen ist und wo man denkt, dass man da mehr, würde man sagen okay, man begegnet dem positiv und sagt: Mensch, was machst du da eigentlich? Und wieso? Man kann ja durchaus Verständnis zeigen oder sich Fragen stellen, aber ich finde, man muss eigentlich motivierend sein und sagen: Ja, also wir sehen, es ist wichtig, also müssen wir auch was dafür tun. Und wenn man es einfach nur schlecht macht, finde ich, das hat einfach keinen wesentlichen Beitrag.
Andrea Morgenstern: Finde ich gut, das wird ausprobiert!
Philipp Nagl: Probieren Sie es mal aus. Da schlucken die meisten dann immer.
Andrea Morgenstern: Sie waren bei der ÖBB, der Österreichischen Bundesbahn tätig, bringen also zur DB ÖBB-Expertise mit. In unserem Nachbarland läuft es offenbar besser. Was können wir uns denn da noch abschauen?
Philipp Nagl: Also ziemlich einfach. Die haben wahnsinnig viel in Infrastruktur investiert, auch Neubaustrecken gebaut, sehr viele. Bauen lange Tunnels, bauen in Fortsetzung - ist ja eigentlich wunderbar: zwischen Salzburg und Wien, also ihre Ost-West-Achse - stark weiter aus, ist schon stark ausgebaut und haben das, was wir jetzt gerade angesprochen haben, eine sehr positive Einstellung zur Bahn, die sich eigentlich damals, als ich angefangen hab - vorher war die übrigens auch schlecht, weil die waren so unpünktlich.- Also bis 2008 war die ÖBB unpünktlicher als die DB. Dann hat sich das gedreht durch die Investitionen. Das ist eigentlich der Beweis dafür, dass man durch konsequente Investition und Verbesserung der Infrastruktur echt viel erreichen kann. Und es ist genau das eingetreten, was auch die meisten Leute annehmen: Wenn die Infrastruktur besser ist, wird die Pünktlichkeit besser und dann steigt auch der Zuspruch der Bevölkerung und auch die Nutzung der Bahn. Und genau das ist passiert. Deswegen ist Österreich glaube ich jetzt Erster oder Zweiter im Bahnfahren pro Kopf in Europa, das hat sich massiv gesteigert. Und wir machen hier jetzt de facto eigentlich ein ähnliches Modell, weil es halt sicherlich funktioniert. Also es ist logisch und es hat schon funktioniert. Also würde ich sagen, ist es auch in Deutschland möglich.
Andrea Morgenstern: Seit der Bahnreform 1995 ist das Streckennetz kleiner geworden, Personen und Güterverkehr sind aber massiv gestiegen. Wie passt das zusammen?
Philipp Nagl: Ja, also dazu muss man wissen, dass es auch übrigens in Österreich genauso passiert, dass das Streckennetz und das, wofür die Eisenbahn verwendet wurde oder wie sie gebaut und entstanden ist, meistens ja im 19.Jahrhundert, dass es nicht vollständig den heutigen Bedürfnissen an die Eisenbahn entspricht. Ich bin ja sonst bekannt als Eisenbahnfan und auch ein bisschen als Eisenbahnnerd: Trotzdem muss man natürlich auch immer darauf gucken, was macht die Eisenbahn heute, wo hat sie ihren Beitrag und wo hat sie den auch nicht mehr? Und deswegen wurden eigentlich in ganz Europa gerade sehr gering genutzte Nebenbahnstrecken stillgelegt. Und das macht auch in gewisser Weise Sinn, wenn man das Automobil als technologisches Faktum annimmt. Dann ist es nun mal sinnvoll, es so zu machen, wie man es heute eigentlich macht, nämlich dass man größere Strecken hat, wo der Nahverkehr sehr dicht und attraktiv fährt, also stündlich/halbstündlich, sodass die Menschen dann eigentlich mit ihrem Auto die erste Meile sozusagen zurücklegen bis zum Bahnhof, was sie so in den Regelfall sowieso tun würden, wenn sie irgendwo im ländlichen Raum sind. Da müssen sie gucken, wie kommen sie zur nächsten Bahnstation? Und dann ist es tendenziell für die Menschen eigentlich attraktiver zu sagen: Bevor ich drei Kilometer zum Bahnhof fahr, wo alle eine oder zwei Stunden ein Zug fährt, fahr ich lieber noch fünf Kilometer weiter zu einer Strecke, wo alle halbe Stunde ein Zug fährt. Das ist dann eigentlich sozusagen das, was passiert ist und daher kam es dann in allen Ländern zu so einer Reduktion der Flächenstrecken zugunsten einer Aufwertung der Hauptstrecken, weil das eigentlich in der Kombination das Richtige ist. Die Strecken, das muss man nicht vergessen, diese Nebenstrecken wurden gebaut, als das Automobil noch nicht verfügbar war. Da macht es natürlich Sinn und deswegen macht es heutzutage aber keinen Sinn mehr, zwei Infrastrukturen in sehr dünn besiedelten Gebiete vorzuhalten. Das ist auch für die Eisenbahn schlecht, weil sie dann ihr Geld quasi, wenn die jetzt nicht nur 33.000 Kilometer, sondern 66000 Kilometer Strecke hätte, dann müssten wir ja doppelt so viel Schiene instandhalten. Wir könnten aber nicht doppelt so viele Menschen auf der Schiene transportieren. Da ist es besser, man nimmt das Geld und macht die 33.000 Kilometer besser. Hat man mehr für Umwelt, mehr für Güterverkehr getan als in der Fläche. Insofern passt das zusammen. Aber es ist eben wichtig und jetzt sind wir wieder bei unserem Projekt: Dass die Strecken, wo die Eisenbahn da ist und wo sie hochattraktiv ist, da muss sie auch gucken, dass sie attraktiv bleibt und auch vorankommt. Weil auch zwischen Ulm und Augsburg ist die Strecke von 1860 wahrscheinlich oder in der Größenordnung und erfüllt auch nicht alle Anforderungen, insbesondere nicht die Verkehrsmengen, die heute da schon abgewickelt werden. Das haben unsere Ahnen nicht gedacht, dass da mal so viele Züge und so viele Menschen mit der Bahn fahren. Und daher ist diese Strecke natürlich absolut an ihrer Belastungsgrenze und es macht Sinn eine neue Strecke zu bauen und die Bestandsstrecke, das ist ja immer der große Vorteil, dann noch besser mit Nahverkehr bedienen zu können. Also würde man ja sofort einen Halbstundentakt, RB oder RE, würde man da fahren können. Man könnte vielleicht den einen oder andern zusätzlichen Halt noch erbauen. Es wäre ja eine wunderbare Strecke, wo der Nahverkehr sich auch nicht in die Quere käme mit Güter- und Fernverkehr, der dann auf der Neubaustrecke abgewickelt werden kann. Dort überall, wo wir das gemacht haben - das ist ja in Deutschland jetzt schon an vielen Stellen auch passiert - gab es in Summe für das gesamte System immer einen Aufschwung. Also das profitiert ja von der Neubaustrecke. Das wird ja oft gedacht: Da fährt ja nur der Fernverkehr. Das stimmt überhaupt nicht. Die Bestandsstrecke wird dann eben stark entlastet. Der Fernverkehr fährt dann dort nicht mehr so dicht und man hat den Güterverkehr insbesondere nachts weg und kann dann eben auf den Bestandsstrecken viel, viel besseren Nahverkehr machen, der auch viel zuverlässiger funktioniert.
Andrea Morgenstern: 170. Geburtstag feiert unsere Bestandsstrecke dieses Jahr im Mai.
Philipp Nagl: Habe ich gar nicht so schlecht geschätzt.
Theresa Wiesmeier: Ja, absolut. Sie hatten vorher schon auf die Pro-Kopf-Investitionen angespielt. Bedeutet eine höhere Pro-Kopf-Investition gleich bessere Infrastruktur? Oder es ist einfach die Art und Weise, wie man das Geld einsetzt?
Philipp Nagl: Na ja, also es ist so, dass, wie man bauen muss, ist natürlich ein bisschen ein Unterschied. Ob man ein komplett flaches Land hat mit keiner Besiedelung oder ob man sehr dicht besiedeltes Land hat, wie es Deutschland ist oder ob man sogar topografische Herausforderung hat. Also Mittelgebirge, Täler, Brücken, alles das. Das ist natürlich ein Unterschied. Aber ich sage mal, da sind wir ja in Deutschland, da haben wir sicherlich Herausforderungen: ist dicht besiedelt und hat nicht immer leichte Topografie. Aber ich würde sagen, dass die Schweizer und Österreicher es auch nicht leicht haben. Die haben halt viel Gebirge und sind dort, wo sie dann leben können, auch viele. Insofern ist es eigentlich aus meiner Sicht nicht das Problem, sondern das Wesentliche ist, dass man die Projekte angeht und dass man welche umsetzt. Und wenn man das vergleicht, etwa mit China: Die haben uns massiv überholt, haben auch keine einfache Topografie, bauen viel mehr Neubaustrecken. Auch die Spanier. Und da sage ich na ja, also ich sehe nicht, was in Deutschland uns daran hindern soll, dass wir nicht ein gleich großes Hochgeschwindigkeitsetz wie Spanien haben zum Beispiel. Also da gibt es aus meiner Sicht kein Limit, warum das bei uns andere Voraussetzungen sein sollten.
Theresa Wiesmeier: Jetzt auch noch mal zum Thema Finanzierung: Die Schweizer haben einen sogenannten Bahninfrastrukturfonds, in dem Geld für die Sanierung des Netzausbaus der kommenden Jahre liegt. Wir müssen jedes Haushaltsjahr wieder bangen. Macht Sie das neidisch?
Philipp Nagl: Ja, also bei Eisenbahn kann man immer auf die Schweiz neidisch sein. Das ist, das ist klar. Wenn man dort mal unterwegs war, weiß man das. Auf der anderen Seite hilft ja das neidisch sein alleine nicht weiter, sondern die Frage ist ja: Wie kriegen wir unter den Rahmenbedingungen, die wir in Deutschland haben, auch was hin? Und man kann auch Rahmenbedingungen verändern und klar ist, dass ein Problem in Deutschland jedenfalls ist, dass solche Infrastrukturausbauthemen - es trifft ja nicht nur die Schiene, auch Straßen oder Wasserwege - sehr davon profitieren würden, wenn man eine mehrjährige klare Finanzierungsperspektive hat, weil man dann eben nicht immer wieder von vorne in Frage stellt: Wird das jetzt gemacht oder nicht? Wir haben ja solche Fälle gehabt, wo Projekte, die mitten im Bau waren, gestoppt wurden. Das berühmte Beispiel ist ja das "Verkehrsprojekt Deutsche Einheit" zwischen Erfurt und Bamberg. Das hatte ja ungefähr zehn Jahre Baustopp, also da standen dann die Brücken in der Landschaft ohne Schienen. Heute kann sich keiner mehr wegdenken, dass man zwischen Berlin und München nicht mehr in vier Stunden fährt. Darf man nicht vergessen: Vor weniger als zehn Jahren sind wir da noch sechs Stunden mit der Bahn gefahren. Hat den Eisenbahnverkehr extrem geboomt: Flugverkehr hat sich reduziert, die Leute sind viel zufriedener damit. Jetzt werden wir dort irgendwann relativ bald auch alle im Halbstundentakt sehen. Also das heißt, sie gehen einfach zum Bahnhof und können von Berlin nach München fahren. Also man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen. Trotzdem hat es eben diese Probleme gegeben und wir haben so ein Projekt, das übrigens ungefähr die gleiche Länge hat wie das jetzt zwischen Ulm und Augsburg. Und das hat man eben an der Stelle dann gesehen, was das für einen riesen Effekt hat und da würde auch heute keiner mehr sagen, es ist keine Frage, ob das sinnvoll war und ob man das gebraucht hat. Das ist einfach allen klar. Und die nutzen ja auch alle die Strecken, das ist gut. Vielleicht ein letzter Punkt, den ich da vielleicht noch gerne sagen möchte, ist: Weil es ja immer heißt: braucht man diese Großprojekte? Man muss sagen, dass alle Bahnstrecken, die wir heute nutzen, zu ihrer Zeit Großprojekte waren. Also es gibt keine Eisenbahnstrecke, die gebaut wurde, die nicht ein Großprojekt war, auch so was: S-Bahn-Stammstrecke in München war in den 70er Jahren ein riesiges Projekt. Jetzt machen wir wieder eine. Aber auch eben damals: die Strecke zwischen Ulm und Augsburg, können Sie ja mal erforschen. War auch ein großes Projekt. Die Leute waren außer sich. Das war eine Riesensache. Und wir sind heute wahnsinnig froh, dass die Menschen damals - und dort ist ja noch viel Handarbeit und alles gewesen - die das gebaut haben - die hatten Probleme mit Seuchen und alles, was es so gab - dass die das damals gemacht haben, weil wir heute immer noch drüber fahren, gerne uns auch freuen, dass es eine vergleichsweise gute Strecke ist. Und alles, was wir in Deutschland heute an Verkehrsinfrastruktur haben, waren Großprojekte unserer Vorfahren. Und wir nutzen die einfach so und tun so, als wären die schon immer da gewesen, was totaler Quatsch ist. Die waren nicht da, sondern da haben sich Leute dafür entschieden und die haben die Widrigkeiten des, wo geht es eigentlich lang und was muss da gemacht werden, des Baus, alles mitgemacht, Finanzierung, und wir sind heute sehr froh und niemand würde irgendeine der Strecken, die einmal gebaut wurden, infrage stellen. Und das sollten wir uns immer vor Augen halten, wenn man in dieser Diskussion bei jeder: Ja braucht's die oder nicht oder wie? Das ist aus der Perspektive, in der wir denken müssten für solche Projekte, die über Jahrhunderte dastehen, wenn sie dann einst mal gebaut wurden, dass das eigentlich die Sichtweise ist, die man einnehmen muss und eher die Frage stellt, wie macht man es eigentlich möglich? Es gibt ja berechtigte Einsprüche und sagt: Das ist keine gute Idee, haben wir eine bessere? Wie können wir das so machen, dass die, das.. Das ist ja völlig richtig, das ist auch der Kern der Arbeit. Aber man sollte nicht in den Gedanken verfallen zu sagen, das ist jetzt irgendwie kurzfristig und brauchen wir jetzt genau da und muss das im Jetzt sein? Wenn das unsere Vorfahren gemacht hätten, dann gäbe es Deutschland nicht in dieser Form und vieler unserer Lebensentwürfe. Fast alle wären unmöglich, weil wir in der Postkutsche sitzen würden oder wo auch immer. Ja, das waren alles technologische Meisterleistungen und Großprojekte und visionäre Themen, wo die nicht mal wussten, was. Die können sich gar nicht vorstellen, was wir da alles machen heute damit. Und genauso müssen wir denken, wenn wir was beitragen wollen zur Entwicklung unserer Gesellschaft. Über nicht nur den eigenen Lebenshorizont, sondern darüber hinaus.
Andrea Morgenstern: Das finde ich eine sehr schöne Sichtweise. Dessen sollte man sich immer wieder bewusst werden. Ja, ein kleines Gedankenspiel haben wir noch dabei: Sie sitzen im Zug und irgendwas läuft nicht wie geplant. Die Menschen vor und hinter Ihnen fangen vielleicht bisschen an zu schimpfen, zu meckern. Reagieren Sie?
Philipp Nagl: Ich weiß, dass ich mich auf die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, die im Betriebsdienst sind, hundertprozentig verlassen kann. Und ich weiß, wie Zugchefinnen und Zugchefs arbeiten, die die Ansagen machen. Ich weiß, wie die Leute in der Verkehrsleitung der EVUs arbeiten, wie die Leute in unserer Netz-Leitzentrale oder in der Betriebszentrale, die Fahrdienstleiter arbeiten. Das ist mir alles völlig klar. Da sitzen Profis und die machen in aller Regel wirklich das Beste. Das was ich meistens mache, wenn es denn irgendwas größeres ist oder so, dann gehe ich eher zur Zugchefinnen hin oder zum Zugchef und bedanke mich und sage, dass die das toll gemacht haben, weil in diesen Situationen - die oft auch sehr schwierig sein können, wenn sie zum Beispiel einen Personenunfall oder so was im Zug haben - da merkt man richtig, dass man sich auf die Leute wirklich verlassen kann und dass in wirklich aller Regel ihren Job sehr gut machen und dass man da als Bürotäter, so wie ich es einer bin, da besser beraten ist, Danke zu sagen und zu sagen Mensch, habt ihr gut gemacht. Und so ist es nämlich auch wirklich.
Theresa Wiesmeier: Herr Dr. Nagl ich habe noch schnell drei Begriffe für Sie. Sie dürfen mir kurz erklären, was Ihnen dazu einfällt. Der erste Begriff: "Gemeinwohl".
Philipp Nagl: Ja Gemeinwohl ist für mich, dass Denken an die gesamte Gesellschaft und das, was wir als Beitrag leisten können für die Gesellschaft, die ja im Ist und auch in der Zukunft davon Nutzen haben soll, dass es die einfach mal gibt.
Theresa Wiesmeier: Zweiter Begriff: "Shinkansen", gemeint sind die..
Philipp Nagl: ..japanischen..
Theresa Wiesmeier: ...Hochgeschwindigkeitszüge, genau.
Philipp Nagl: Ja, also beeindruckend. Aber ich sage immer, wer es richtig kompliziert und schwierig haben will, der muss nach Deutschland gehen.
Theresa Wiesmeier: Dritter Begriff: "Netzabdeckung".
Philipp Nagl: Na ja, die Netzabdeckung, da denkt man an Mobilfunk ehrlicherweise und das ist auch so ein Punkt. Wer das mal mitverfolgt hat, da sind wir richtig vorangekommen in Deutschland, viel besser geworden mit dem Telefonieren im Zug und mit der IT-Anbindung. Redet man gar nicht drüber und weiß man auch gar nicht mehr, wie schlecht es mal war. Aber Sie können ja mal eine Probe machen. Also auf fast allen Hauptstrecken können Sie eigentlich völlig ohne Unterbrechung mittlerweile telefonieren und da ist echt was vorangegangen. Und das fehlt mir immer so ein bisschen, dass man immer sozusagen das nächste Schlechte sieht und sich auch schwer erinnert, was mal besser geworden ist. Aber an der Stelle ist es wirklich besser geworden.
Theresa Wiesmeier: Wir werden es wieder austesten auf unsere Fahrt nach Hause!
Philipp Nagl: Gleich mal lostelefonieren jetzt hier und dann beim Aussteigen in Augsburg oder in Ulm gucken wir, ob es abgebrochen ist. Ich würde sagen: maximal ein- oder zweimal.
Andrea Morgenstern: Wir geben Bescheid. Ganz, ganz lieben Dank für Ihre Zeit und die spannenden Erklärungen!
Philipp Nagl: Gerne, gerne.
Theresa Wiesmeier: Vielen Dank Ihnen! Tschüss Andrea!
Andrea Morgenstern: Ciao Theresa, bis zum nächsten Mal!
Theresa Wiesmeier: Bis zum nächsten Mal!
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